Erfahrungsbericht der 225. Infanterie-Division
über das "Ofenrohr" vom 14. März 1944

 

Das Panzer-Zerstörer-Bataillon 477 wurde im Oktober 1943 aufgestellt und bald danach zu 2/3 mit Ofenrohr ausgerüstet. Erstmalig wurde es mit dieser Waffe in der Winterschlacht im Raume Leningrad Mitte Januar 1944 eingesetzt und zwar mit 2 Kompanien, Kampfstärke etwa je 50 Mann mit je 20 Rohren, während die 3. Kompanie des Bataillon mit schweren Pak zum Einsatz kam.
Die nun folgenden Geschehnisse bestätigen vollauf die Voraussagen, die in Erfahrungsberichten anläßlich der Ausbildung im Herbst 1943 niedergelegt worden waren und zwar:

1) Die Trefferleistung dieser neuen Waffe ist mit der neuen, verbesserten Munition (geliefert Mitte Dezember 1943) bis etwa 100 m befriedigend. Die Durchschlagsleistung und Wirkung im Panzer, auch bei sehr starker Panzerung, ist gut, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Granate mit einem Auftreffwinkel von nicht unter 45 Grad auf eine Panzerplatte auftrifft, auch wenn diese mit Luftabstand von der eigentlichen Panzerung aufgehängt ist. Beim Auftreffen auf einen anderen herausragenden Teil, wie z.B. Schrauben, Ketten, Laufräder und dergleichen verpufft die Wirkung. Ketten und Laufräder werden durch Treffer nur unwesentlich beschädigt.

2) Das hochempfindliche Geschoss detoniert bereits bei kleinster Berührung, sodass selbst ein Hindurchschießen durch Sträucher und dünnes Geäst nicht möglich ist. Aus diesem Grunde ist das Ofenrohr für Kampf im Waldgelände völlig ungeeignet.

3) Das Ofenrohr eignet sich lediglich für den Abwehrkampf in ständiger Front, wo sich die Infanterie gegebenenfalls vom Panzer überrollen läßt. Im Angriff ist es unter gewissen Umständen im Kampf um Ortschaften zu gebrauchen. Es ist in jeder Hinsicht als zusätzliche Panzernahkampfwaffe der Infanterie anzusprechen.

4) Infolge des Gewichtes der Munition und vor allen Dingen der Empfindlichkeit der Rohre auf geringste Beschädigungen ist die Waffe im Kampf sehr unbeweglich. Um im entscheidenden Augenblick wirklich da zu sein, müssen die Rohre in der HKL sorgfältig geschützt aufbewahrt werden. Der Ausfall an Rohren infolge Artillerie- und vor allem Granatwerferfeuer, aber auch Infanterie-Geschosse war während der Bewegungskämpfe außerordentlich hoch.

5) Die Bewaffnung geschlossener Formationen mit Ofenrohren, und zwar ausschließlich mit diesen, hat sich, wie ebenfalls vorausgesagt, aus folgenden Gründen als durchaus ungünstig erwiesen:
Der Einsatz als Kämpfer mit einer Panzernahkampfwaffe verlangt in jedem Fall einen ganzen Kerl, das Heißt, es müssen ausgesuchte Leute sein. Es ist klar, dass eine Einheit Leute in der erforderlichen Qualität bestenfalls zu 50% besitzt.
Weiter ist es eine unausbleibliche Folge, dass geschlossene Zerstörer-Kompanien truppweise auf fremde Einheiten aufgeteilt zum Einsatz kommen. Ganz abgesehen davon, dass derartige zugeteilte Gruppen meist ziemlich in der Luft schweben, führte diese zersplitterte Zuteilung sehr bald dazu, dass die nun einmal als Spezialisten ausgebildeten und als solche auch vorgesehenen Leute mit anderen Aufgaben betraut wurden, sodass sie schon nach wenigen Tagen vorwiegend als Gegenstoßreserven bei Spähtrupps und Verbindungs-Aufnahmen aufgebraucht wurden. Die eine Kp. des Btl. hatte anläßlich nur mit Infanterie-Waffen geführter Gegenstöße bei einer Kampfstärke von 50 Mann allein 9 Vermisste. Es wird dieses vermutlich zu vermeiden sein, wenn die Ofenrohrbedienungen durch Auswahl geeigneter eigener Leute aus den Infanterie-Regimentern herausgebildet würden, wo sie heimisch sind und dementsprechend sorgfältig ihrer tatsächlichen Bestimmung gemäß eingesetzt würden.

6) Ein großer Mangel der Waffe ist z.Zt. das Fehlen eines zweckmäßigen Schutzes des Schützen gegen die beim Schuß vorn aus dem Rohr herausfliegenden und dann zurückschlagenden Funken. Der Schutz durch die Gasmaske ist nicht zweckmäßig. Häufig kam es vor, dass die in der Nähe, aber außer Reichweite befindlichen Panzer so plötzlich vorstießen, dass die Leute die Gasmaske nicht rechtzeitig aufsetzen bzw. wiederaufsetzen konnten, wodurch in größerer Zahl recht üble Verbrennungen aufgetreten sind.

Zusammenfassend wäre noch folgendes zu sagen: Die Waffe ist gut und sicher noch entwicklungsfähig. Doie Tatsache, dass von 2 Kompanien während der Rückzugskämpfe von Krasnoje-Selo bis Jamburg nur 5 Panzer vernichtet, einer bewegungsunfähig geschossen wurde, ist kein Beweis gegen die Waffe. In den allermeisten Fällen konnten die Rohre bei  feindlichen Panzerangriffen deshalb nicht zum Tragen kommen, weil die Feindpanzer entweder durch vorhandene eigene Pak, Sturmgeschütze oder Panzer vor Erreichen der Schußentfernung für Ofenrohre abgeschossen wurden oder die Truppe, der die Ofenrohre beigegeben waren, sich vor Herankommen der feindlichen Panzer absetzte. Ein voll abschließendes Urteil wäre erst dann zu gewinnen, wenn die Rohre in fest gehaltener HKL zum Einsatz kämen. Das wäre in den ersten Tagen des Großangriffs möglich gewesen, wenn die beiden Ofenrohr-Kompanien des Bataillons nicht entgegen dem vorher örtlich festgelegten Einsatz an eine falsche Stelle befohlen worden wären, wo Panzer von vorn herein kaum zu erwarten waren.
Für einen Kampf in der Absetzbewegung ist die Verwendung von Einheiten als Ofenrohreinheiten gegenüber einer Ausstattung mit Pak nicht wirtschaftlich, wie die Abschußzahlen bewiesen haben. Die beiden Ofenrohr-Kompanien vernichteten 5, die mit s. Pak ausgestattete Kompanie des Bataillons im gleichen Zeitraum 11 Panzer.

v.d. Planitz
Hauptmann und Bataillons-Kommandeur