Sturmgewehre

 

Der Einsatz der verschiedenen Maschinenpistolen hatte gezeigt, daß die Pistolenpatrone 08 mit ihrer schwachen Ladung und der daraus resultierenden schlechten Flugbahn nur eine Munition für kurze Entfernungen war. Vom Waffenamt wurden zwar verschiedene Versuchsentwicklungen gefördert, eine neue Munition wurde aber abgelehnt.

Die Firma Rheinmetall-Borsig hatte 1927 bereits eine Kurzpatrone 8 x 42,5 mm entwickelt und dazu auch ein Selbstladegewehr vorgelegt. Diese Waffe, »Gewehr 28« genannt, war 1.240 mm lang, besaß einen seitlich arbeitenden Kniegelenkverschluß und wog ohne das 20schüssige Magazin 4,5 kg. Die damaligen Militärs hatten die Waffe aber wegen ihrer neuen Munition und der damals unvorstellbaren taktischen Einsatzmöglichkeiten abgelehnt.

Zu einer Kurzpatrone 7,75 x 40 mm baute 1934/35 die Firma Vollmer mehrere Waffen. Diese mit »M 35« bezeichneten Gewehre waren 960 mm lang und besaßen einen 400 mm langen Lauf. Obwohl diese 4,2 kg schwere Waffe, im letzten Modell bereits »Maschinenkarabiner« genannt, bei allen Erprobungen vorzüglich abschnitt, wurde sie vom Waffenamt abgelehnt. Zu dieser Zeit arbeitete auch die RWS (Rheinisch-Westfälische Sprengstoff AG) an einem Versuchsauftrag des Waffenamtes, ein optimales Kaliber für Infanteriewaffen zu finden - es ergab sich eine Kurzpatrone 8,15 x 46 mm.

Die Firma Walther hatte mit den DWM zusammen die Patrone 7,5 x 40 mm entwickelt und dazu eine automatische Waffe vorgeschlagen - aber auch dieses Projekt wurde abgelehnt.

Von der Infanterie-Kommission setzten sich aber doch einige Leute durch, und es entstand bei der Firma Polte aus einer Pistolenpatrone 7,9 x 30 mm nach und nach die Maschinenkarabiner-Patrone 7,9 x 33 mm.

Am 18. April 1938 hatte die Firma Haenel bereits den Auftrag erhalten, zu dieser Munition eine automatische Waffe mit einer Wirkungsschußweite von 800 m zu entwickeln. Nachdem die Firma Walther im Dezember 1940 inoffiziell ebenfalls einen Vorschlag eingereicht hatte, erhielt sie im Januar 1941 auch einen Entwicklungsauftrag, der sogar über 200 Waffen ausgestellt war - bei Haenel hatte man nur 50 bestellt.

Während aber Hugo Schmeißer bei Haenel in Suhl einen sehr einfachen Kippriegelverschluß konstruiert hatte, ging man in Zella-Mehlis bei Walther von dem Drehriegelprinzip aus, das man bereits bei dem Selbstladegewehr A 115 (ein Vorläufer des G. 41[W]) verwendet hatte. Die komplizierte Gaskolbeneinrichtung mit dem zweifach angebohrten Lauf machte später auf das Waffenamt auch keinen guten Eindruck.

Haenel ließ seine Blechprägeteile bei den über große Erfahrungen verfügenden Merz-Werken in Frankfurt fertigen und lieferte im Juni 1942 die 50 Waffen ab, von denen 35 sofort in den Truppenversuch gingen. Walther hatte, durch die verspätete Auftragserteilung benachteiligt, zu dem Zeitpunkt erst zwei Waffen fertig.

In der Erprobung erwies sich die Haenel-Waffe als robuster und bedienungsfreundlicher. Walther hatte beispielsweise den Sicherungshebel an der rechten Seite der Waffe angebracht, der Wählhebel für Einzel- oder Dauerfeuer befand sich jedoch auf der linken Seite - man mußte immer herumfingern bzw. im kalten Wetter, wenn das wegen der Handschuhe schlecht möglich war, immer nachsehen, was eingestellt war.

Bei der Haenel-Waffe lag der Sicherungshebel so auf der linken Seite, daß er leicht mit dem Daumen zu bedienen war, darüber befand sich ein durchgehender und damit von beiden Seiten bedienbarer Druckbolzen für die Schußwahlschaltung. Das sind einige Gründe, warum sich das Waffenamt für die Fertigung des MKb. 42(H) entschied. Die Waffe war 940 mm lang und wog mit leerem Magazin 4,6 kg. Das Kurvenmagazin faßte 30 Schuß, die mit einer v0 von 650 m/Sek. verschossen wurde.

Hitler hatte aber von der Truppenerprobung erfahren und forderte wegen der neuen Munition die sofortige Einstellung aller Arbeiten an dieser neuen Waffe. Man ließ jedoch die Produktion weiterlaufen, als Deckmantel lief ja seit dem Juli 1942 bei der Firma Gustloff die Entwicklung eines Maschinenkarabiners für die normale Gewehrpatrone. Diese mit einem Zweibein versehene Waffe wog ohne das vom MG 13 stammende 25schüssige Magazin 4,4 kg. Außer dem im Dezember 1942 abgelieferten Muster wurde nichts weiter produziert, auch der Neuentwurf, der mit seiner Bezeichnung MKb. 43(G) wiederum Hitler täuschen sollte, wurde nicht weiter verfolgt. Diese Waffe war 940 mm lang, die v0 betrug 650 m/Sek. Bei der Firma Haenel im Frühjahr 1943 das Gaskolbensystem verbessert. Da nun Hitler ein Maschinenkarabiner für die Gewehrpatrone, den oben erwähnten von Gustloff, vorgelegt werden konnte, wurde die Waffe mit der Kurzpatrone einfach MP 43 genannt und man hoffte, Hitler würde das als Maschinenpistole ansehen.

Es war jedoch nicht zu vermeiden, daß die Wahrheit ans Licht kam - und wieder sollte alles eingestellt werden. Man konnte Hitler lediglich die Zusage abringen, daß 30.000 Waffen fertiggestellt werden durften. Erst im September1943 - es waren bis dahin rund 14.000 Waffen geliefert worden - gelang es, Hitler auf Grund der von der Truppe eingegangenen Erfahrungsberichte zu überreden, mit der MP 43 - trotz der neuen Munition - die MP 40 zu ersetzen. Ein erster, größerer Einsatz erfolgte dann Ende Oktober1943 bei der 93. Infanterie-Division im Nordabschnitt der Ostfront. Im März 1944 wurde nach kleinen Änderungen die Waffe dann in MP 44 umbenannt. Aber erst im Juli 1944 - das Waffenamt hatte bereits über 80.000 Waffen erhalten -, als einige Divisionskommandeure im Führerhauptquartier Hitler persönlich ihre Ansichten über diese wirkungsvolle Waffe vortrugen, wurde die Produktion unter besondere Dringlichkeit gestellt und erhielt dann im Dezember den Suggestivnamen »Sturmgewehr«.

Die in Blechprägetechnik gefertigte Waffe benötigte 10,9 kg Rohmaterial und wog ohne Magazin 4,5 kg. Das mit 30 Schuß gefüllte Magazin wog zusätzlich 0,87 kg. Bei einer Länge von 935 mm entfielen auf den Lauf 412 mm. Verschossen wurde die Pistolenpatrone 43, die man später in »Kurzpatrone« umbenannte. Sie war 48 mm lang und wog 16 g, das 26 mm lange Geschoß von 8 g wurde durch eine Treibladung von 1,5 g auf eine v0 von 685 m/Sek. beschleunigt. Die theoretische Schußfolge lag bei 7-8 Schuß/Sek.

Die Produktion des MKb. 42 und des Sturmgewehres bis zum 1. April 1945:

  1942 1943 1944 1945
MKb. 42 116 11.717 - -
»Sturmgewehr« - 19.501 281.860 124.616

Aus der obigen Produktion hat das Heer 7.215 Waffen abgegeben, darunter 4.320 an die Luftwaffe, 2.069 an die Kriegsmarine und 17 an das Ausland. Wie bei jeder Fertigung wurden auch hier nicht immer alle vorgestellten Waffen abgenommen, so wurden im ersten Halbjahr 1944 3.709 Waffen abgelehnt, die Zahl sank dann aber im zweiten Halbjahr auf 1-5 Stück. Bei der Munitionsversorgung sollte sich Hitlers Furcht zum Teil bewahrheiten: Für die anfänglich geplanten 200 Millionen Schuß je Monat waren 86.000 zusätzliche Arbeitskräfte notwendig, es gab sie aber nicht. Die ab Februar 1944 geplanten 400 Millionen Schuß je Monat waren völlig utopisch, ab Februar 1945 wurde die Zahl dann auf realistische 110 Millionen reduziert.

Geliefert wurden bis Anfang März 1945 die folgenden Mengen (in Millionen Schuß):

  1942 1943 1944 1945
Pistolenpatrone 43 9,7 23,4 579,4 209,5

Davon gab es Anfang März 1945 noch einen Nachschubvorrat von 69,6 Millionen und 273,9 Millionen bei der Truppe.

Am Sturmgewehr konnte übrigens außer dem Zielfernrohr ZF 4 auch das ZF 1229, ein »Vampir« genanntes Infrarot-Nachtzielgerät, verwendet werden, von dem die Firma Leitz 310 Stück geliefert hatte. Der auf das Gewehr aufzubringende Zielaufsatz wog mit dem 1,5/85-mm-Objektiv 2,3 kg, das als Schultertasche zu tragende Versorgungsteil 13 kg.

Ein weiteres Zusatzgerät war der Krummerlauf. Damit konnte man um 30°, um 45°, ja sogar um 90° um die Ecke schießen. Gezielt wurde mit einem Prismenvorsatz. Die Lebensdauer eines solchen Zusatzlaufes war natürlich sehr begrenzt, sie betrug für das 30°-Modell knapp 300 Schuß, bei dem 45°-Zusatz aber nur 160 - demgegenüber lag die Lebensdauer des normalen Laufes bei 10.000 Schuß.

Von dem Gerät ist aber nur der Vorsatz »J« mit der 30°-Ablenkung, der für die Infanterie gedacht war, in größeren Stückzahlen gefertigt worden. Damit wurden bei Einzelfeuer auf 100 m Trefferablagen von 35 x 35 cm erreicht. Dauerfeuer war nicht möglich - der Schütze konnte die Waffe nicht im Ziel halten. Vom Vorsatz »P«, der mit 90°-Ablenkung zum Beschuß der »toten Winkel« bei Panzerfahrzeugen vorgesehen war, sind nur etwa 200 Stück gefertigt worden.

Ein vereinfachtes Sturmgewehr mit unverriegeltem Verschluß legten im Herbst 1944 die Firmen Gustloff und Grossfuß vor. Es wurde abgelehnt. Von einem Neuentwurf, dem StG(H), bei der Firma Haenel MP 45 genannt, ist trotz der begonnenen Kleinserie nur noch ein Muster erprobt worden.

Eine bessere Lösung schien das Gerät 06 der Firma Mauser zu sein, stark entfeinert wäre es in der Hälfte der Zeit herstellbar gewesen. Nachdem man vier Waffen erprobt hatte, wurde es zum Gerät 06H geändert. Unter der Bezeichnung StG 45(M) wurden noch 30 Waffen im Werk in Oberndorf / Neckar begonnen, aber nur noch wenige fertiggestellt. Dieses Sturmgewehr besaß ein gehäusefestes Rohr von 430 mm Länge und eine halbstarre Verriegelung mittels beweglich abgestütztem Rollenverschluß. Das Kaliber betrug 7,92 mm. Der Lauf besaß 4 Züge im Rechtsdrall. Die V0 betrug 685 m/s, die Waffe an sich wog 5,19 kg. Das neuartige System für den Verschluß findet sich im automatischen Gewehr G 3 der Bundeswehr.

Mauser hatte übrigens damals ein gekürztes Magazin mit 10 Schuß erprobt. Der Grund: Das 20-Schuß-Magazin stand etwa 260 mm über die Schußachse hinaus, und dies war in gewissen Kampfstellungen nicht gerade deckungsfreundlich.