Reichsmarine
Auf Grund des Gesetzes, das die Nationalversammlung am 16. April 1919
billigte, hieß die deutsche Marine Vorläufige Reichsmarine. Sie
war nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges aus der Kaiserlichen Marine des
Deutschen Kaiserreichs hervorgegangen. Zu den Aufgaben der Reichsmarine gehörten
Küstensicherung, Fischereischutz, Minenräumen, Seepolizei und Unterstützung der
Handelsschifffahrt. Die Novemberrevolution 1918, ausgelöst durch den Kieler
Matrosenaufstand der Hochseeflotte, und die Internierung der Hochseeflotte in
Scapa Flow führten zum inneren Zusammenbruch der deutschen Seestreitkräfte.
Linke, häufig kommunistische Mannschaften und konservativ-monarchistische
Offiziersgruppen rotteten sich gleichermaßen als Freischaren zusammen. Die
kommunistischen Matrosen bildeten die Volksmarinedivision, die konservativen
Kräfte mehrere Verbände, darunter die Marinebrigaden Ehrhardt und Loewenfeld,
die anfangs vorwiegend aus Berufssoldaten bestanden. Beide Seiten beteiligten
sich an blutigen Kämpfen und Gewalttaten. Die Volksmarinedivision wurde im März
1919 aufgelöst, die Marinebrigaden erst nach dem Kapp-Putsch im März 1920, an
deren Zustandekommen sie wesentlich beteiligt waren. Einer der Auslöser war der
Befehl des Reichswehrministers Gustav Noske, die Marinebrigaden aufzulösen. Die
Brigade Ehrhardt unterstützte den Kapp-Putsch und besetzte Berlin. Der Chef der
Admiralität, Vizeadmiral von Trotha erklärte, die Marine stehe der neuen
Regierung zur Verfügung. Damit hatte er die Vorläufige Reichsmarine außerhalb
der Verfassung gestellt. In den kommenden Jahren sah sie sich von rechts dem
Vorwurf des Matrosenaufstands und der Novemberrevolution ausgesetzt, von
liberaler und linker Seite dem des Verfassungsbruchs.
1919 ging die Führung der Marine vom bis dahin bestehenden
Reichsmarineamt auf die neue Admiralität über. Kurz nach ihrer offiziellen
Gründung kam es zur Selbstversenkung der deutschen Hochseeflotte in Scapa Flow.
Bei diesem Ereignis versenkten sich am 21. Juni 1919 die in Scapa Flow
internierten Teile der deutschen Flotte selbst, um einer geplanten Auslieferung
zu entgehen. Elf Linienschiffe, fünf große Kreuzer, zwei Minenkreuzer und sechs
kleine Kreuzer sowie 50 Torpedoboote wurden versenkt bzw. auf Grund gesetzt. Zum
Ausgleich für die versenkten Schiffe verlangten die Alliierten die Auslieferung
weiterer deutscher Kriegsschiffe, die eigentlich für den Aufbau einer neuen
Flotte vorgesehen waren. Der Vorläufigen Reichsmarine verblieben zum Neuaufbau
nur die verbleibenden Reste, die ältesten und unmodernsten Einheiten. Der
Vertrag von Versailles begrenzte die Größe und Bewaffnung der deutschen
Streitkräfte. Danach durfte die Marine 6 Linienschiffe (plus 2 in Reserve), 6
Kreuzer (plus 2 in Reserve), 12 Zerstörer (plus 4 in Reserve), 12 Torpedoboote
(plus 4 in Reserve), 38 Minensuchboote, Sperrübungsfahrzeuge ohne Beschränkung,
8 Tender und Bewacher, 8 Fischereischutzboote, 2 Vermessungsschiffe, 6 Peilboote
und 1 Segelschulschiff besitzen. Ersetzt werden durften die alten Schiffe erst
nach einer Dauer von 20 Jahren (die großen Einheiten) oder 15 Jahren (die
kleineren Einheiten). Neubauten und Schiffskäufe im Ausland waren genauso wie
der Besitz von U-Booten verboten. Sperrübungsfahrzeuge und unbewaffnete
Einheiten unterlagen keiner zahlenmäßigen Beschränkung. Eine ganze Flotte von
U-Bootzerstörern, Leichten Minensuchbooten und Flachgehenden Räumbooten überließ
die Marine daher in abgerüstetem Zustand dem Reichswasserschutz, von dem sie die
Boote später zum Teil wieder zurück erwarb. Die Personalstärke der Reichsmarine
durfte 15.000 Mann nicht überschreiten. Im Frühjahr 1920 wurden die erhalten
gebliebenen Seestreitkräfte der deutschen Marine in zwei etwa gleich starke
Gruppen geteilt. Die eine wurde vom Befehlshaber der Seestreitkräfte der Ostsee
(B.S.O.) in Swinemünde, die andere vom Befehlshaber der Seestreitkräfte der
Nordsee (B.S.N.) in Wilhelmshaven geführt. Beide Befehlshaber unterstanden dem
jeweiligen Stationschef. Mit dem Wehrgesetz vom 23. März 1921
erfolgte die Umbenennung in Reichsmarine (RM) rückwirkend zum
1. Januar 1921. Zugleich wurde die endgültige Organisation als Teil der
Reichswehr festgelegt. Oberbefehlshaber aller Streitkräfte war der
Reichspräsident. Unter ihm besaß der Reichswehrminister Befehlsgewalt über die
Reichswehr. Ihm unterstanden die Chefs der Heeresleitung und der Marineleitung
nebeneinander als militärische Befehlshaber. Bedingt durch die Unterbrechung des
Kapp-Lüttwitz-Putsches, des schlechten Materialzustandes und ungenügendem
Ausbildungsstand konnten die verbliebenen Schiffe erst ab Herbst 1923 in Dienst
gestellt und gehalten werden. Mit Wirkung ab dem 15. Oktober 1923 wurden die
Seestreitkräfte unter dem Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte (O.d.S.) zusammen
gefasst:
Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte (O.d.S.)
Linienschiffdivision
Linienschiffe Hannover, Hessen,
Schleswig-Holstein, Schlesien
Flottentender Meteor
Befehlshaber der leichten Seestreitkräfte der Ostsee (B.l.O.)
1 Kreuzer
I. Torpedobootsflottille (11 Boote
und 1 Tender)
I. Minensuchhalbflottille (6 Boote)
1 Vermessungsschiff
1 Peilboot
Befehlshaber der leichten Seestreitkräfte der Nordsee (B.l.N.)
2 Kreuzer
II. Torpedobootshalbflottille (11
Boote und 1 Tender)
Kommando der Marinestation der Ostsee
Kommando der
Marinestation der Nordsee
Zum 1. April 1925 wurde die Dienststelle des Oberbefehlshabers der
Seestreitkräfte (O.d.S.) in Flottenkommando umbenannt, wobei die ehemals dem
O.d.S. unterstellten Befehlshaber dem neuen Flottenkommando unterstellt wurden.
Der Befehlshaber der leichten Seestreitkräfte der Ostsee wurde Befehlshaber der
Seestreitkräfte der Ostsee (BSO), welcher zugleich Führer des Verbandes der
Aufklärungskräfte wurde. Der Befehlshaber der leichten Seestreitkräfte der
Nordsee wurde ebenfalls umbenannt und erhielt den Namen Befehlshaber der
Seestreitkräfte der Nordsee (BSN). Zusätzlich wurde der BSN 2. Admiral der
Linienschiffsdivision. Ebenso kam die Linienschiffsdivision zur neuen
Dienststelle, wobei die Linienschiffe der Division auf die beiden Befehlshaber
der Seestreitkräfte aufgeteilt wurden. Dem Flottenchef war die Gerichtsbarkeit
der zweiten Instanz übertragen und er war dem Chef der Marineleitung persönlich
rechenschaftspflichtig bzgl. der Ausbildung und der Einsatzfähigkeit der Flotte:
Flottenkommando
Linienschiffdivision
Linienschiff Braunschweig und Elsass
(dem B.S.N. zugeordnet)
Linienschiff Hessen und Hannover (dem
B.S.O. zugeordnet)
Tender Hela
Befehlshaber der Seestreitkräfte der Nordsee (B.S.N.)
Befehlshaber der Seestreitkräfte der Ostsee (B.S.O.)
Kommando der Marinestation der Ostsee
Kommando der
Marinestation der Nordsee
Am 1. Januar 1930 wurden in der Reichsmarine die vier noch in Dienst
befindlichen Linienschiffe unter den neu eingerichteten Befehlshaber der
Linienschiffe zusammengefasst. Für die Einrichtung wurde der Befehlshaber der
Seestreitkräfte der Nordsee und der 2. Admiral der Linienschiffsdivision
verwendet. Die Unterstellung erfolgte unter das Flottenkommando. Ebenfalls am 1.
Januar 1930 wurde der Befehlshaber der Seestreitkräfte der Ostsee zum
Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte umgewandelt. Ihm unterstanden die
Kreuzer der Reichsmarine direkt sowie die die Führer der Torpedoboote und der
Führer der Minensuchboote.
Gliederung der Reichsmarine 1930/31:
Flottenkommando geführt vom
Flottenchef (Flottenflaggschiff Linienschiff Schleswig-Holstein in Kiel, dazu
Flottentender Hela)
Befehlshaber der
Linienschiffe (B.d.L.) (Flaggschiff Linienschiff Schlesien in Wilhelmshaven)
Linienschiffe Hannover, Hessen,
Schleswig-Holstein, Schlesien
Flottentender Meteor, Peilboote II
und V
Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte (B.d.A.) (Flaggschiff Leichter Kreuzer Königsberg in
Kiel)
Leichte Kreuzer Emden, Köln,
Königsberg, Leipzig
Führer der Torpedoboote
I. Torpedobootsflottille (Swinemünde)
II. Torpedobootsflottille
(Wilhelmshaven)
Führer der Minensuchboote
1. Minensuchhalbflottille (Kiel)
Kommando der Marinestation der Ostsee (Kiel)
Küstenverteidigung der Ostsee
Marineartillerieabteilungen I. (Kiel), III. (Swinemünde) V. (Pillau) und VII
(Memel)
Kommandanturen in Swinemünde und Pillau
Schiffsstammdivision der
Ostsee (S.D.O.)
Fahrzeugverband der Ostsee in Kiel mit Stationstender Nordsee
Küstennachrichtenwesen der Ostsee
Inspektion des Bildungswesens der
Marine (B.I.)
Marineschulen
in Flensburg-Mürwik, Friedrichsort und Kiel-Wik
Marinefachschulen
Marinearchiv
(Berlin)
zeitweilig
unterstellte Schulkreuzer
Segelschulschiff Niobe
Inspektion des Torpedo- und
Minenwesens (T.M.I.)
Torpedoversuchsanstalt (T.V.A.) in Eckernförde
Torpedo- und
Nachrichtenschule (T.N.S.) in Flensburg-Mürwik
Torpedolaboratorium in Kiel
Nachrichtenmittelversuchsanstalt (N.V.A.) mit Funkversuchsstelle in Pelzerhaken,
dazu Versuchsboot Grille
Sperrversuchskommando (S.V.K.) in Kiel, dazu Versuchsverband mit Nautilus,
Pelikan, S 23, T 155
Sperrabteilung in Kiel mit Sperrschule und Sperrverband
Kommando der
Marinestation der Nordsee (Wilhelmshaven)
Küstenverteidigung der Nordsee
Marineartillerieabteilungen II. (Wilhelmshaven), IV. (Cuxhaven) und VI. (Emden)
Schiffsstammdivision der
Nordsee (S.D.N.) in Wilhelmshaven
Fahrzeugverband der Nordsee mit Stationstender Frauenlob, Fischereischutzbooten
Zieten, Elbe, Weser
Küstennachrichtenwesen der Nordsee
Inspektion der Marineartillerie
(A.I.)
Artillerieversuchskommando für Schiffe (A.V.K.S.) in Wilhelmshaven
Schiffsartillerieschule (S.A.S.) in Kiel mit Schulbooten Drache, Hay, Delphin
Küstenartillerieschule (K.A.S.) in Schillig und Wilhelmshaven mit
Versuchskommando und Schulboot Fuchs
Marinedepotinspektion (D.I.) in
Wilhelmshaven
Marineartilleriedepots in Wilhelmshaven, Cuxhaven, Borkum, Pillau, Swinemünde
und Kiel-Dietrichsdorf
Marinesperrdepots in Wilhelmshaven, Grauerort, Kiel-Dietrichsdorf und weiteren
Zweigstellen
Marineschießplatz in Altenwalde
Reichsmarinewerft in Wilhelmshaven,
außerdem Marinearsenal, technische Institute, Verwaltungsbehörden und
Marinelazarette
Reichsmarinedienststellen in Hamburg
(ab 1931 als Reichswehrdienststelle Hamburg in den Wehrkreis II abgegeben, 1935
als Kriegsmarinedienststellen wieder der Marine zugeordnet), Bremen, Stettin und
Königsberg
Am 1. Juni 1935 erfolgte die Umbenennung der Reichsmarine in Kriegsmarine.
Kommandobehörden
Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte (O.d.S.)
Flottenkommando
Flottenstreitkräfte
Linienschiffdivision
Befehlshaber der
Linienschiffe
Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte
Befehlshaber der leichten Seestreitkräfte
der Ostsee
Befehlshaber der
leichten Seestreitkräfte der Nordsee
Kommando der Marinestation der Ostsee
Kommando der
Marinestation der Nordsee
Führer der Torpedoboote
1.
Torpedoboots-Flottille /
2.
Torpedoboots-Flottille
Sicherungsstreitkräfte
Führer
der Minensuchboote
1. Minensuchflottille /
2. Minensuchflottille
Artillerie-Verbände
Marine-Artillerie-Abteilung I /
Marine-Artillerie-Abteilung II /
Marine-Artillerie-Abteilung III
Marine-Artillerie-Abteilung IV/
Marine-Artillerie-Abteilung V /
Marine-Artillerie-Abteilung VI
Marine-Artillerie-Abteilung VII
Ersatz-Einheiten
Schiffsstammdivision der Nordsee / Schiffsstammdivision der Ostsee