Fieseler Fi 103
»V 1« »Kirschkern«

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Am 25. Juni 1942 erhielten die Fieseler-Werke den Auftrag, um das zu diesem Zeitpunkt neu entwickelten Pulso-Schubrohr eine Zelle mit einem Sprengkopf zu bauen. Ziel war es, eine automatisch gesteuerte Flügelbombe zu schaffen. Die Planung und Erprobung dieser Flügelbombe lief  bei den Fieseler-Werken unter der Bezeichnung »Fi 103«. Später wurde aus Geheimhaltungsgründen die Bezeichnung FZG (Flak-Ziel-Gerät) 76 vergeben. Aus propagandischen Gründen wurde der Rakete dann kurz vor Einsatzbeginn die Bezeichnung »V 1« (Vergeltungswaffe) gegeben. Die ersten Versuche fanden bei den Fieseler-Werken statt. Die Waffe hatte noch ein Leitwerk in Kreuzform, hatte also eine Kielflosse von der gleichen Größe der Seitenflosse. Eine weitere Stabilisierungsflosse befand sich vor dem Lufteinlauf des Triebwerkes auf der Rumpfoberseite in der Höhe der Flügel. Die weitere Entwicklung bis zur Serienreife wurde dann bei der Luftwaffen-Sonderentwicklungsstelle in Peenemünde-West durchgeführt. Die Rakete hatte den Aufbau eines normalen Flugzeuges. Angetrieben wurde das Serienmuster von einem Argus As 014-Pulso-Schubrohr mit 335 kp Maximalschub. Gesteuert wurden die Geschosse durch eine automatische Kreiselkurssteuerung mit preßluftgetriebenem Steuergerät. Die Reichweite wurde durch einen Anemometer-Fählpropeller in der Rumpfspitze erreicht. Die Nutzlast in der Spitze betrug 850 kg. Die Geschosse waren 7,9 m lang, hatten eine Spannweite von 5,3 m und eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 800 km/h. Die Reichweite betrug 350 km. Zur Herstellung wurden nur 280 Arbeitsstunden benötigt, was eine große Serienfertigung zuließ.

Gestartet wurden die Raketen entweder von ortsfesten Startschienen oder von Trägerflugzeugen aus der Luft. Die ortsfesten Stellungen bestanden aus einem 55 m langen Katapult mit einer Steigung von 6°. Das Katapult bestand aus zwei Schienenträgern mit einem dazwischen liegenden geschlitzten Rohr, durch welches ein Kolben mit dem Starthaken lief. Der Starthaken brachte das Geschoß auf eine Startgeschwindigkeit von 320 km/h. Der erste Einsatz vom Boden aus fand am 16. August 1944 statt. Innerhalb der nächsten 80 Tagen wurden dann mehr als 9.300 Geschosse gestartet, Hauptziel war London sowie Städte in Südengland. Von den 9.300 gestarteten Geschossen fielen etwa 2.000 sofort nach dem Start wegen technischer Fehler aus. Von den übrigen wurden ein Viertel durch Jäger und ein weiteres Viertel durch die Flak oder Ballonsperren abgefangen. Die Abschüsse vom Boden aus erfolgten durch das Flak-Rgt. 155 (W) - Luftwaffe. Das Regiment bestand aus vier Abteilungen mit je vier Batterien, jede Batterie hatte 4 Abschußstellungen. Dazu wurden noch Ausweich-stellungen errichtet, so daß es insgesamt beim ersten Einsatz 96 Abschußstellungen gab. Dazu kamen noch 4 verbunkerte Abschußstellungen auf der Halbinsel Cotentin bzw. an der Straße von Dover. Die Errichtung eines zweiten Flak-Regiments für den »V 1«-Abschuß war geplant (Flak-Rgt. 255). Dazu kamen noch entsprechende Flak-Kräfte, sicher auch in Stärke mehrere Flak-Abteilungen unter einem weiteren (allerdings mehrfach wechselnden) Flak-Regimentsstab. Das Regiment war mit etwa 6.700 Mann sehr personalstark.

Der große Nachteil der ortsfesten Stellungen war, daß sie durch die alliierten Bomber relativ leicht zu zerstören waren, viele Abschußrampen gingen zudem nach der Landung der Alliierten in der Normandie verloren. Daher wurde immer öfter auf Trägerflugzeuge zurückgegriffen. Verwandt wurden etwa 100 He 111 H-22 der III. Gruppe des Kampfgeschwaders (KG) 3 und der I. Gruppe des KG 53 von den Flughäfen Gilze-Rijen und Venlo aus. Der erste Einsatz wurde am 7. Juli 1944 geflogen. Die Angriffe waren in der Hauptsache gegen London und Southampton gerichtet und dauerten bis zum 15. Januar 1945. Gestartet wurden die Raketen aus einer Höhe von 500 bis 3.000 Metern. Insgesamt gingen dabei 80 Trägerflugzeuge verloren, 1.600 »V 1« konnten gestartet werden, davon erreichte etwas mehr als die Hälfte London.

Gegen Kriegsende wurden mit der »V 1« Versuche unternommen, die Geschosse auch als Rammjäger gegen alliierte Bomber einzusetzen. Diese Aktion unter dem Namen "Reichenberg" beinhaltete den Umbau der »V 1« zu einer bemannten Version, der »Fi 103/R 3«. Der Umbau bestand hauptsächlich im Einbau einer Pilotenkanzel. Zum Einsatz kamen diese Selbstmord-Waffen aber nicht mehr.